Vom Architekten zum Olivenbauer

Faszinierend waren während meines Architekturstudiums in den sechziger Jahren die Vorlesungen über meine bereits verblichenen großen Kollegen in der griechischen Antike. Glücklich, aber auch ein wenig stolz, machte mich das Studium. Architektur, ein Wort aus dem Griechischen, archi techni, Anfang der Kunst.

Ich las natürlich auch den Gruben, den unentbehrlichen Begleiter der Studierenden und Griechenlandreisenden. Dann eine Vorlesung meines Dozenten für Kunstgeschichte, Prof. Dr. von Löhneisen, der in mir während dieses Vortrags mit der Erwähnung von Sophoklis Oidipus auf Kolonos auch noch die erste zarte Liebe zum Olivenbaum entzündete. In jedem Buch, das ich über Griechenland las, schob sich ein Ölbaum in meine Gedanken.

Hellmut Baumann begeisterte mich mit seinem Werk Die griechische Pflanzenwelt in Mythos, Kunst und Literatur, aber unglaublich fand ich die Tatsache, dass sich ein Mitteleuropäer, 1943, intensiv mit dem Ölbaum beschäftigte. In Archiven fand ich einen Sitzungsbericht der philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, in dem ein Johannes Hoops in seiner Abhandlung Geschichte des Ölbaums resümierte: Der Ölbaum ist die bedeutendste Charakterpflanze der Mittelmeerländer.

Nachdem nun auch einer der damals wichtigsten Biblia für Neuhellenen, nämlich Gaitanidis Griechenland ohne Säulen gelesen war, musste ich den Hoops mit allen Anhängen und Quellenangaben kreuzundquer lesen. Von nun an begannen meine intensiven Wanderungen durch Griechenlands Ölhaine. Zu meinen Freunden zählten nun Ziegen- und Schafhirten, aber auch Imker, denn die Insel Thasos ist als Honiginsel weltbekannt. Viele Jahre unternahm ich Erkundungen in den Bienenweiden des Michai’l Topuzis, einem Bienen- und Honigweisen, der seine Erfahrungen aus Kleinasien mitbrachte. Oft lagen diese Bienenweiden in kleinen Pinienbewaldungen, am Rande von Olivenhainen.

Für mich begann nun eine große Leidenschaft. Griechenland wurde zur Heimat meines Herzens. Das bedeutete: Umsteigen, den Empfehlungen Epikurs folgen, den Lehren vom glücklichen Leben. Dem Prinzip der Lust nachgehen, das die Grundlagen des Glücks bilden soll. Hinein ins einfache Leben, das es dem Menschen ermöglichen soll die grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, damit man schweren Schicksalsschlägen mit Gleichmut begegnen kann.

Das zähe immergrüne Blattwerk des Olivenbaums hat schon vor Sophoklis viele Poeten beeindruckt. Über zweitausendvierhundert Jahre nach seinem Tod hatte es mich nun auch gepackt, aber immerhin nur 100 Jahre nach nach Vincent van Gogh, der am 26. April 1889 in einem Brief an seinen Bruder Theo schrieb, dass er von der Schönheit der Olivenbäume so berauscht sein, dass sie zu schön seien sie zu malen, oder auch nur daran denken könnte sie zu malen. Seht nur das Licht auf den Bäumen, es funkelt wie ein Diamant. Es schimmert rosa und blau ... und der Himmel, der hindurchscheint macht einen schier verrückt beschrieb einst Auguste Renoir die Ölbäume.

Zu meinem kleinen Olivenbaum, den ich einst aus der Provence nach Berlin mitbrachte, ihn aber dann doch nach Thasos verpflanzte, weil er sich gegen das ruppige Berliner Klima nicht durchsetzen wollte, gesellen sich nun auf der Insel wunderschöne Ölbäume. Mit Ölbäumen aus dem türkischen Ayvalik bilden nun meine Olivenbäume mit Feigen- und Mandelbäumen eine griechische und biblische Trinität.

Seit über vier Jahrzehnte lebe ich intensiv in diesem wunderbaren, einzigartigen und faszinierenden Land, in dem ich in all den Jahren nur menschliche Wärme und Zuneigung erfuhr. Ich liebe dieses Land, aber ich liebte es auch mit solcher naiven und schwärmerischen und leidenschaftlichen Hingabe, dass mich meine griechischen Freunde von Anfang an mit aufrichtiger Schonungslosigkeit auf Eigenarten in diesem Land hinwiesen, um mich vor Enttäuschungen zu bewahren.

Nun, diese Land ist für seine Bewohner, oder Besucher, nicht immer das Arkadien, der Traum vom irdischen Paradies, das poetische Traumland, in der die bukolische Poesie die Hirten als mythische Gestalten und Symbole der Sehnsucht und einer freidvollen Welt leben ließ. Ein Traum nur, aber ein Traum, den man in keinem anderen Land Europas träumen kann, in einem Land, in dem im Chaos der Götter alles seien Anfang nahm. Griechenland ist ein Land, in dem alles ein wenig ungebügelter ist, so, wie der sich noch entwickelnde Schmetterling, oder wie die roten Blüten des feurigen Granatapfelbaums.

Petros Rottwinkel